Die Analysen der Gestaltungsprozesse zeigen, dass Kinder unterschiedliche Strategien wählen, um ihre Kenntnisse anzuwenden und zu erweitern. Im Sinne einer Typisierung können vier Tendenzen beschrieben werden, die sich in den Strategien manifestieren:
- Material- und raumerkundende Strategie (Marie und Goran)
- Spielerisch-kommunikative Strategie (Laura und Ivana)
- Pragmatisch-aufgabenbezogene Strategie (Neshaanth und Céline)
- Idealistische Strategie (Nicolas und Matthias)
Aus den Beschreibungen und Analysen aller beobachteten Gestaltungsprozesse haben wir Folgerungen für die allgemeine Charakterisierung von Strategien der Kinder ableiten können:
- Motivation und Orientierung: Wenn Kinder ihre Art zu Handeln verändern oder neue Schritte im Gestaltungsprozess unternehmen, tun sie dies entweder aus eigenem Antrieb oder aufgrund von äusseren Impulsen (z.B. Inspiration durch ein anderes Objekt oder Anregung der Lehrperson). Intrinsisch motiviertes Arbeiten zeichnet sich dadurch aus, dass der Dialog mit dem eigenen Objekt den Gestaltungsprozess massgeblich prägt: Das Kind setzt sich immer wieder intensiv mit seinem Schiff auseinander, betrachtet es, schätzt ab, ob es seinen Vorstellungen entspricht. Extrinsisch motivierte Strategien nehmen die Angebote anderer auf und können durch Konkurrenz bestimmt sein: Wer baut das bessere Piratenschiff? Welche Verziehrungen sind schöner?
- Rhythmus, Tempo und Ziel: Die Phasen im Gestaltungsprozess weisen eine Dramaturgie auf. Welche Bauetappe auf die vorhergehende folgt, ist nicht zufällig, sondern aus der Sicht des Kindes in Hinblick auf die Gestaltung des Objektes sinnvoll. Wir konnten jeweils beobachten, dass jede neue Handlungssequenz für die Kinder einen besonderen Stellenwert einnimmt. Während ein erstes Kind konstant Materialien oder Formen in einer regelmässigen Abfolge einsetzt, sodass dieses rhythmische Bauen zum Selbstzweck wird, arbeitet ein zweites scheinbar ohne überflüssige Handgriffe zielgerichtet auf ein bestimmtes Resultat hin. Je nach Antrieb werden solche Schritte durch Impulse ausgelöst, erfolgen schubweise, durch Abwickeln eines Programms oder konsequent zielorientiert.
- Interaktion: Die wechselseitigen Beziehungen der Kinder untereinander sowie der Kinder mit den beteiligten Erwachsenen sind Teil der gewählten Strategie. Kein Kind baut losgelöst von allen anderen, nur auf sich bezogen. Es ist auch feststellbar, mit welcher Kultur des Gestaltungsunterrichts und mit welcher Unterrichtspraxis die Kinder vertraut sind. So sind es die einen gewohnt, häufig und dezidiert bei der Lehrperson Hilfe oder Anerkennung einzufordern, während die anderen sich untereinander beraten. Auch der Umgang mit Werkzeug und Material lässt zum Teil erkennen, was in einer Gruppe gebräuchlich ist. Unser Lernarrangement ist keine Tabula rasa, auf der die Kinder unberührt von äusseren Einflüssen zu beobachten wären. Kinder nutzen Lernumgebungen zudem über die konkrete Aufgabenstellung hinaus: etwa als Raum für rituelle Peerkonflikte oder als Ressource für die sprachliche und kulturelle Integration.
Die gewählten Strategien erlauben auch Rückschlüsse auf die Voraussetzungen, welche Kinder mitbringen. Das Wissen um die Vielfalt der Zugänge zu einem Gegenstand relativiert die Fixierung auf Entwicklungsstufen: Das Alter ist nur eines der Kriterien, die bestimmen, unter welchen Umständen ein Kind lernt. Die individuellen Lernstrategien oder die Interaktion mit den Peers können ebenso ins Gewicht fallen.
Wann ist ein Schiff ein Schiff? Dreidimensionales funktionales Gestalten mit vier- bis achtjährigen Kindern.
Ein Projekt der Pädagogischen Hochschule Bern, des Schweizerischen Werkbundes SWB und des Schulverlags.