Welche Motive leiten die Kinder, wenn sie Schiffe bauen? Auf welche Ausdrucksformen greifen sie zurück? Wodurch lassen sie sich inspirieren? Wir haben die Gestaltungsprozesse von acht Kindern auf Video festgehalten. Die Aufnahmen enthalten nur wenige und zum Teil eigensinnige sprachliche Äusserungen. Umso mehr lassen wir die Bilder sprechen: Sie geben Aufschluss darüber, wie die Kinder ihre Vorstellungen umsetzen, wie sie Probleme lösen und welche Voraussetzungen sie mitbringen. Die acht Gestaltungsprozesse zeigen die Strategien, die Kinder wählen, um ihr Schiff darzustellen.
«Ein Schiff, auf dem die ganze Familie Platz hat.» Karin
«Meins ist ein Segelschiff.» Thomas
«Mein Schiff ist ein Zeltschiff.» Daniel
«Ich will, dass es richtig schwimmen kann.» Matthias
«Bei mir fehlt noch ein Anker. Oder ein Triebwerk.» Sven
Marie baut in drei Experimentierphasen: Nach dem flächigen Objekt geht sie in die Vertikale und baut dann ein Objekt mit symmetrisch angeordneten Bauelementen, einen Wohnbereich, und setzt Figuren dazu. Die Arbeitsphasen sind jeweils geprägt von einem bestimmten Rhythmus: das Abbrechen der Styroporstücke, das Einstecken von Zahnstochern und Holzspiessen. Jedes der Objekte erklärt sie für sich als abgeschlossen und wendet sich danach einem neuen Thema und damit einer weiteren Erkundung der räumlichen Dimension zu. (Material- und raumerkundende Strategie)
Goran widmet sich zunächst intensiv dem Styropor. Sein Objekt entsteht in dieser Phase. Er schmilzt kleine Stücke Styropor ab und fügt sie mit Leim und Klebeband zusammen. Später befestigt er dieses Gebilde auf einem länglichen Stück von der Grösse und Form einer Schuhsole. In der restlichen Zeit beschäftigt sich Goran mit den übrigen Materialien, ohne ein weiteres Produkt herzustellen. Er zieht es vor, die Möglichkeiten und Grenzen der zur Verfügung stehenden Materialien auszuloten. (Material- und raumerkundende Strategie)
Laura lässt sich Zeit, bis sie das passende Ausgangsmaterial gefunden hat. Ausgehend von einem nierenförmigen Holzbrett, baut sie ihr erstes Objekt, das sie später als Insel bezeichnen wird. Schliesslich sind es drei Objekte aus Formen, die sie im Materialfundus findet und zusammenfügt. Ihr assoziativer Baustil zeugt von einem spielerischen Dialog mit dem Objekt und dem Material: Zum Schiff gehört, was ihr gefällt und was sich gut einpassen lässt. (Spielerisch-kommunikative Strategie)
Nicolas setzt Schritt für Schritt seine Vorstellung eines Schiffs um. Er arbeitet planvoll, geht sorgfältig mit Material und Werkzeugen um. Sein Vorgehen wirkt routiniert und zielorientiert. Das Produkt ist ein formvollendetes Schiff, das in weiten Teilen aus Holzklötzen und Styroporstücken besteht, die er in der Materialecke vorgefunden hat. Er verfolgt seine Idee über einen längeren Zeitraum, steht doch die Grundform des Schiffs schon beim vorbereitenden Materialtest eine Woche vor Arbeitsbeginn fest. (Idealistische Strategie)
Ivana lässt sich von Impressionen und Impulsen leiten. Sie baut routiniert, wirkt aber nicht in die Arbeit versunken: Dies äussert sich in ihrem steten Plaudern und Kommentieren dessen, was um sie herum geschieht. Sie scheint eher beiläufig zu bauen, so, als ob sie keinen bestimmten Plan verfolgen würde. Sie produziert drei Objekte, die gleichzeitig nebeneinander entstehen. Es lässt sich keine Entwicklung feststellen, alle drei zeugen von derselben impressionistischen Bauweise. Zum Abschluss kommentiert sie ihre Schiffe mit einer märchenhaft ausgeschmückten Geschichte, die sie möglicherweise schon beim Bauen inspiriert hat. (Spielerisch-kommunikative Strategie)
Neshaanth will sich Kenntnisse im Umgang mit Werkstoffen und Werkzeugen aneignen und zugleich sprachliche Hürden bewältigen. Er hat stets ein Ziel vor Augen, eine Vorstellung, auf die er immer wieder zurückgreift, wenn er sein Produkt kontrolliert, um dann fortzufahren und die wesentlichen Bestandteile eines Schiffs zusammenzufügen. Für die Feinheiten im Innenausbau des Schiffs übernimmt er pragmatisch die Ideen und Techniken der anderen. (Pragmatisch-aufgabenbezogene Strategie)
Céline arbeitet nach dem Prinzip, Bauteile seriell herzustellen. Sie arbeitet rasch, konzentriert, beinahe atemlos und gleichwohl exakt. Sie hat eine bestimmt Form vor Augen. Ihr Objekt deutet die Form Schiff an, aber vieles dient eher als Platzhalter. Der thematische Rahmen Schiff wird überschritten: In der Feinarbeit und bei der Innenausstattung deutet sie Elemente an, die sie aus der Welt der Puppenstube leiht. Hier kann sie auf Bekanntes zurückgreifen, einen Bauplan abwickeln, mit dem sie vertraut ist. Die Zweitklässlerin legt eine unübersehbare Leistungsorientierung an den Tag. (Pragmatisch-aufgabenbezogene Strategie)
Matthias geht planvoll vor, baut in Schüben und setzt das Material in Serien von Elementen ein. Er kontrolliert nach jeder Handlungssequenz, ob das Produkt mit seiner Vorstellung übereinstimmt, und passt es dann an. Er steht im Dialog mit seinem Objekt, das er stetig weiterentwickelt. Auf diesem Weg der Umsetzung seines Ideals lässt er sich auch inspirieren und modifiziert damit seine Idee. (Idealistische Strategie).
Wann ist ein Schiff ein Schiff? Dreidimensionales funktionales Gestalten mit vier- bis achtjährigen Kindern.
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