Die Konstruktionsweisen der Kinder sind höchst unterschiedlich. Anhand der Aspekte Schiffsspitze und Schiffswand erläutern wir exemplarisch, wie verschieden die Kinder vorgehen, um eine ganz bestimmte Absicht umzusetzen.
Die spitze Form am Bug ist ein wesentliches Merkmal eines Schiffs. Wir haben festgestellt, dass die Kinder zwischen zwei alternativen Lösungsansätzen wählen, um die Formqualität «spitz» darzustellen:
Die Kinder wählen aus dem Materialfundus auffallend spitze Formelemente aus und montieren diese auf die Grundplatte. Mit Blick auf die sinnliche Wahrnehmung lässt sich folgern, dass es dazu die Fähigkeit braucht, aus einer grossen Formenvielfalt ein spitzes Element zu erkennen. Für das Befestigen wenden die Kinder mehr oder weniger komplizierte Vorgehensweisen an:
Die Kinder schneiden die spitzen Formelemente gezielt zu und bringen sie an einer bestimmten Stelle und in einem bestimmten Winkel zur Grundfläche an. Dies deutet auf ein planvolles Vorgehen und konzeptuelles Denken hin: Die Kinder schätzen die Wirkung ihres Handelns ab.
Ausgehend vom Kriterium der Formschlüssigkeit, lassen sich zudem Aussagen über die Qualität der Ausführung machen. Dabei fällt auch die Entwicklung der feinmotorischen Fähigkeiten ins Gewicht. Die Art und Weise, wie das Kind die Spitze umsetzt, verweist auf die räumlichen Vorstellungsbilder.
Die folgende Auflistung reicht von einer weit fortgeschrittenen, komplexen Lösung bis zu einer einfachen Konstruktionsweise:
Die Kinder haben vielfältige Vorgehens- und Konstruktionsweisen gewählt. Bei allen Kindern ist die Absicht, die Qualität «spitz» darzustellen, als Leitmotiv erkennbar. Dies wird mit unterschiedlichen Elementen, verschiedenen Anordnungen von Elementen und verschiedenen Dimensionen erreicht. Am Thema Spitze zeigt sich deutlich, dass einige Kinder planvoll vorgegangen sind, andere dagegen eher spontan und intuitiv.
Im Wesentlichen geht es darum, aufzuzeigen, aus wie vielen Teilen das Wandsystem besteht, welche Grundform gewählt wird und welche Teile der Grundfläche mit Wänden versehen werden. Etwa die Hälfte aller Kinder baut auf ihrem Schiff Wände. Sie dienen laut der Beschreibung der Kinder als Abgrenzung gegen eindringendes Wasser oder als Schutz für die Passagiere.
Zur Grundform der Bodenplatte: Am häufigsten wird das Rechteck gewählt; einzelne Kinder wählen das Rhomboid, das Sechseck, das Fünfeck sowie andere Formen.
Zur Anordnung der Wände: Die Wände werden am häufigsten parallel zur Aussenform der Grundplatte als geschlossenes System montiert:
Die Form der Bodenplatte spielt dabei keine Rolle. Bei weiteren Schiffen ist diese Absicht zwar erkennbar, aber nicht formschlüssig umgesetzt. Weiter werden Rechtecke mit drei Wänden umschlossen,
mit zwei Wänden parallel zur Längsseite,
mit zwei Wänden im Winkel stehend,
und mit einer Wand.
Speziell zu erwähnen ist die Bauweise von Martin. Er versucht, die Wände ohne Grundplatte zu konstruieren, indem er sie in einem spitzen Winkel aneinanderstellt und anschliessend mit einer Deckfläche stabilisiert.
Wandbauten weisen auf ein planvolles Vorgehen hin, insbesondere, wenn bei der Anordnung eine gewisse Systematik zu erkennen ist. Wir vermuten, dass die Kinder nicht aus formalen, sondern aus inhaltlichen Gründen Wände bauen: Sie dienen einerseits den Passagieren als Schutz vor einem Sturz ins Wasser und andererseits sollen sie das Wasser daran hindern, ins Schiff einzudringen. Daraus ist zu schliessen, dass sich das Kind während des Bauprozesses in die Lage einer Passagierin/eines Passagiers zu versetzen vermag und zugleich Erzeugerin, Erzeuger des Bauwerks sein kann.
Etwa die Hälfte aller Kinder bauen Wände oder Wandsysteme. Vereinzelt bauen auch Kindergartenkinder Wände. Werden drei oder mehr Wände gebaut, sind sie vorne oder hinten oft weniger hoch. Die Kinder scheinen den Seitenwänden eine besonders dominante Rolle zuzuschreiben. Bei drei Kindern beobachten wir ein interessantes Phänomen: Sie teilen eine Seitenfläche in mehrere gleichwertige Teilflächen auf. Weshalb das Längenmass nicht von Anfang an abgeschätzt und nach einer entsprechenden Form im Materialfundus gesucht wurde, müsste näher untersucht werden.
Aus neueren Forschungen ist bekannt, dass «offene Lernsituationen mit variablen Werkmaterialien für die Förderung sowohl für Knaben als auch für Mädchen günstig sind» (vgl. Gaus 2004, 89). Diese Erkenntnis haben wir im Projekt berücksichtigt, indem wir eine grosse Vielfalt an Materialien zur Verfügung stellten:
Bewusst haben wir in der ersten Bauphase nur schwimmfähiges Material bereit gelegt. Erst in der zweiten Unterrichtssequenz ergänzten wir das Angebot mit folgenden Werkstoffen: Draht, Drahtgitter, Schnur, Faden, Stoffen, Plastiksäcken und Plachenstoffen.
Das Werkstoffangebot wird von allen Kindern intensiv genutzt. Die zwei Hauptwerkstoffe für die Grundkonstruktion des Schiffs, Styropor und Sperrholz, werden je nach Stufe unterschiedlich eingesetzt. Die jüngeren Kinder bevorzugten eher Styropor, die Schulkinder Holz.
Textile Werkstoffe: Sie weisen Eigenschaften auf, die den Kindern aus dem alltäglichen Umgang bekannt sind: weich, elastisch, schmiegsam, leicht, beweglich, transparent und farbig. Entsprechend haben die Kinder auf den Schiffen Gegenstände, die in der Realität aus Textilien fabriziert sind (Kissen, Vorhänge, Decken, Tücher und Segel) auch mit textilen Werkstoffen hergestellt. Textile Werkstoffe begünstigen eine realitätsnahe Umsetzung und somit die visuell reale Repräsentationsform.
Textilien werden aber auch verwendet, indem ganze Flächen damit überzogen oder ganze Schiffe damit zugedeckt wurden.
Die Farben der Textilien spielen eine eher untergeordnete Rolle. Tendenziell stellen wir fest, dass die Kinder umso häufiger eine für den darzustellenden Gegenstand realistische Farbe wählen, je älter sie sind.
Styropor: Die jüngeren Kinder setzen für den Schiffsbau und den Ausbau auf dem Deck häufiger Styropor ein als die älteren Kinder. Viele Kinder kennen diesen Werkstoff aus dem Alltag, da er als Verpackungsmaterial verwendet wird. Wegen dieser Funktion scheint der Stoff bei einigen der älteren Kindern als Abfallprodukt codiert zu sein und wird deshalb als wertlos eingestuft. Zitat eines Kindes: «Styropor ist nicht richtig, Holz ist richtig.» Einige der älteren Kinder schätzen Holz als den verlässlicheren Werkstoff ein. Während dem Gestaltungsprozess haben wir festgestellt, dass jüngere Kinder mit Ausdauer und Freude Styropor brechen. Die Eigenschaft des Styropors – formstabil und gleichwohl ohne grossen Kraftaufwand bearbeitbar – fasziniert viele jüngere Kinder.
Draht (Metallgitter): Draht wird von einigen Kindern als Befestigungsmaterial von Ankern sowie als Antenne und Funkgerät eingesetzt. Sie orientieren sich demnach am Alltagsgebrauch des Materials. Ein Kind hat ein Tiergehege aus Drahtgitter hergestellt. Es scheint das Bedürfnis zu haben, Materialien wie in der Realität zu verwenden.
Wann ist ein Schiff ein Schiff? Dreidimensionales funktionales Gestalten mit vier- bis achtjährigen Kindern.
Ein Projekt der Pädagogischen Hochschule Bern, des Schweizerischen Werkbundes SWB und des Schulverlags.
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