Ausführungsqualität der Schiffe

Das Aussehen eines Schiffs wird nicht nur von der Komposition und der Grösse der Formelemente, sondern auch von der Qualität der Ausführung beeinflusst. Diese wiederum unterliegt der wechselseitigen Abhängigkeit der motorischen und kognitiven Fähigkeiten der Kinder sowie der Bearbeitungsverfahren. Am Schluss wird erläutert, welche Ansprüche die Kinder selber an ihr Werk stellen.

Einflussfaktoren

Einflussfaktor Motorik

Der geschickte manuelle Umgang mit Werkzeugen und das Bearbeiten eines Werkstoffs fordern von den Sinnessystemen grossen Einsatz. Die optischen und taktilen Eindrücke (Grösse, Form, Konsistenz, Oberflächenbeschaffenheit, Temperatur) müssen mit der kinästhetischen Wahrnehmung (Stellung der Körperteile zueinander, Gewicht von Objekten) koordiniert und, ausgehend davon, die entsprechende Muskelspannung und der Krafteinsatz dosiert werden. Um genau zu arbeiten, braucht es also eine gut entwickelte Augen-Hand-Koordination.

Die grob- und die feinmotorischen Voraussetzungen der Kinder sind innerhalb der Klassen sehr unterschiedlich. Es können keine Unterschiede zwischen Mädchen und Knaben festgestellt werden. Bei jüngeren Kindern ist tendenziell die manuelle Geschicklichkeit weniger gut entwickelt und die Ausdauer weniger ausgeprägt als bei älteren Kindern. In allen Klassen sind jedoch abweichende Beispiele zu finden.

Viele jüngere Kinder verfügen über weniger Kraft als Schulkinder: Beispielsweise ist das Holzsägen für sie eine grosse körperliche Anstrengung. Aus diesem Grund bevorzugen Kindergartenkinder das Arbeiten mit Styropor und teilweise auch die Beschäftigung mit textilen Stoffen.

Die Kinder schätzen ihre feinmotorischen Fähigkeiten relativ gut ein und wählen die Bearbeitungsverfahren entsprechend aus. Gelingt ein Verfahren nicht beim ersten Versuch – zum Beispiel eine Styroporform mit Stoff einzukleiden –, so wird die Handlung oft mehrmals wiederholt (Videosequenz). Der Wille, eine bestimmte Methode zu beherrschen, ist deutlich erkennbar. Gelingt den Kindern nach grösserer (körperlicher) Anstrengung ein bestimmtes Verfahren, so reagieren sie mit Genugtuung und Stolz.

Bei Nichtgelingen akzeptieren die meisten Kinder ihr Unvermögen und suchen nach anderen Lösungen. Oftmals fragen die Kinder auch um Rat, beispielsweise wie ein Werkstück stabilisiert werden könne. Die Beobachtung, dass fehlende feinmotorische Fähigkeiten und fehlende Koordination zu Frustration führt, haben wir zeitweise bei einem Erstklässler und bei einem Zweitklässler gemacht. Bei Fehlern ist oft nicht die fehlende Kraft ausschlaggebend, sondern der falsche Einsatz eines Werkzeugs oder die unzweckmässige Vorgehensweise.

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Einflussfaktor Messen

Werden Teile einer Konstruktion nicht genau gemessen, hat dies Ungenauigkeit, beispielsweise formunschlüssige Verbindungen, zur Folge. Das genaue Messen bedingt Kenntnis der Längenmasse und des Umgangs mit den entsprechenden Werkzeugen. Die zweite Klasse steht zum Zeitpunkt der Feldforschung in der dritten Schulwoche und hat sich noch nicht vertieft mit dem Messen auseinandergesetzt. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass die Kinder Messwerkzeuge kaum kennen und sie nicht einsetzen.

Wenn Kinder Längen vergleichen, das heisst messen, so tun sie dies in der Regel sehr unkompliziert. Längenmasse werden visuell und/oder mittels Vergleich mit Fingern und Händen geschätzt. Viele Kinder besitzen ein ausgesprochen gutes Augenmass. Beim Herstellen von zwei gleichen Teilen wird oft das erste Stück neben das noch zu fertigende Stück gelegt und nachgebildet (Videosequenz). Zwei Kinder der zweiten Klasse verlangen einen Massstab und versuchen ihn zu gebrauchen. Die Handhabung gelingt jedoch nicht.

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Einflussfaktor Bearbeitungsverfahren

Den Kindern stehen sehr unterschiedliche Verfahren für die Materialbearbeitung zur Verfügung. Für einige Verfahren braucht es Werkzeuge und Geräte, andere können von Hand durchgeführt werden. Um beispielsweise einen Schnitt von 10 cm zu machen, braucht es bei Styropor wenig, bei Holz entsprechend mehr Zeit und Kraft. Wird ein Styroporstück gebrochen, wirkt die Kante ungenauer, als wenn mit dem heissen Draht geschnitten wird.

Wir stellen fest, dass einige Verfahren eine grosse Anziehung auf die Kinder ausüben, beispielsweise das Trennschmelzen von Styropor und bei den jüngsten Kindergartenkinder das Sägen von Holz. Der Grund liegt wahrscheinlich darin, dass diese Verfahren, Geräte und Materialien noch nicht bekannt sind. Im Gegensatz dazu meiden einige Kinder bestimmte Verfahren, zum Beispiel das Sägen von Holz. Dies kann bei einer Zweitklässlerin, bei einigen Kindern der ersten Klasse und auch bei jüngeren Kindern beobachtet werden. Die Heissleimpistole wird zum Teil aus Angst vor Verbrennungen gemieden. Durch die gegenseitige Beeinflussung in der Gruppe wird nach und nach die Angst abgebaut oder die Neugier geweckt, ein Gerät zu testen.

Es werden allen Kindern dieselben Verfahren vorgezeigt. Erstaunlicherweise erfinden die jüngsten Kinder am meisten neue Methoden. Sie brechen Styropor, anstatt es mit dem heissen Draht zu trennen, und benützen Holzstäbe einerseits als eigenständige Konstruktionselemente und anderseits als Verbindungselement. Jüngere Kinder zeigen sich innovativer als ältere Kinder und gehen ungezwungener mit Vorgaben um.

Schlussfolgerungen

Beim Beobachten der Gestaltungsprozesse stellen wir fest, dass die meisten Kinder mit dem werdenden Objekt zufrieden sind. Auch bei der Schlussauswertung zeigen die Kinder eine grosse Zufriedenheit. Mit Ausnahme von zwei älteren Schülern sagt kein Kind, diese oder jene Stelle am Schiff sei unexakt, hässlich oder nicht schön. Nie äussert sich ein Kind dahin gehend, dass man diese oder jene Kante besser schleifen oder besser kleben müsse. Sie stören sich weder an Leimspuren noch an Reststücken von Klebeband. Sie ärgern sich nicht über Ungenauigkeiten.

Einige Kinder zeigen auf ihrem Schiff eine bunte Mixtur von genau gefertigten und flüchtig umgesetzten Bauelementen. Kinder können sich voller Hingabe der Ausgestaltung eines Details widmen und gleichzeitig andere Teile des Werks unbearbeitet lassen. Einige Kinder bauen kleinräumig, dicht und exakt, andere im Gegensatz dazu grossräumig, grob und unexakt. Die unterschiedlichen Ausführungsqualitäten innerhalb einer Kindergruppe werden mehrheitlich akzeptiert. Einige der älteren Kinder haben höhere Ansprüche an die technologische Qualität ihres Werks als jüngere Kinder. Bei ihnen kann ein Nichtgelingen eher Frustrationen auslösen.

Es kommt deutlich zum Ausdruck, dass sich die meisten Kinder weder an Normen von Industrieprodukten noch an handwerklichen Standards orientieren. Das Kriterium Qualität der Ausführung ist für die meisten Kinder nicht relevant.

  • Die motorischen und kognitiven Voraussetzungen der Kinder und die Auswahl der Bearbeitungsverfahren beeinflussen die Ausführungsqualität der fertigen Schiffe.
  • In allen Jahrgangsklassen sind Schiffe mit hohen und niederen Ausführungsstandards zu finden.
  • Am gleichen Objekt sind ganz verschiedene Qualitäten bezüglich der Ausführung zu beobachten.
  • Die Qualität der Ausführung scheint vor allem für jüngere Kinder nicht wichtig zu sein, das Verbessern von Fertigkeiten und das Erkunden von Werkstoffen stehen im Vordergrund.
  • Die meisten Kinder orientieren sich nicht an Ausführungsstandards von Produkten aus Industrie und Handwerk.

Wann ist ein Schiff ein Schiff? Dreidimensionales funktionales Gestalten mit vier- bis achtjährigen Kindern.

Ein Projekt der Pädagogischen Hochschule Bern, des Schweizerischen Werkbundes SWB und des Schulverlags.

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