Das dreidimensionale funktionale Gestalten ermöglicht Kindern vielseitige und grundlegende Erfahrungen im Bereich der Wahrnehmung, des Konstruierens, der Ästhetik und der Technik. Durch Agieren mit physisch-sinnlichen Materialien können sie eigene Bilder und Deutungen überprüfen und Handlungswissen generieren. Indem sich das Kind handelnd auf einer materiell-symbolischen Ebene mit seinen Vorstellungen auseinandersetzt, erschliesst es sich die Welt.
Die nachfolgenden Thesen heben ein Lernen durch Erfahrung hervor, Arbeitsprozesse, die vom Kind selber gesteuert werden, und individuell konstruierte und gestaltete Produkte. Dies schliesst Phasen der Instruktion, des Vorzeigens und Nachmachens und das Einüben bestimmter Fertigkeiten nicht aus. In der gängigen Unterrichtspraxis werden jedoch rezeptive Lehr- und Lernformen oft zu stark gewichtet. Die Thesen sind als Kontrapunkt zu verstehen.
Innere und äussere Sinneseindrücke können durch Materialisieren artikuliert werden. Die körperhaft (physisch-)materielle Sprache ist eine von vielen Sprachen des Kindes.
Die Laut- und Schriftzeichen der verbalen Sprache sind Symbole, die auf Konventionen beruhen. Drücken sich Kinder im dreidimensionalen Gestalten materiell aus, erfinden sie eigene Umsetzungsformen. Die selbst erschaffenen materiellen Produkte sind Träger von Informationen und dienen letztlich der Verständigung und der Kommunikation. Beim Herstellen von dreidimensionalen Körpern werden grundlegende sinnliche Erfahrungen gemacht und neuartige Ausdruckformen gefunden. Authentische Erlebnisse im Bereich der Wahrnehmung im Kindesalter begünstigen später den Umgang mit virtuellen Formen, Farben, Strukturen und Texturen. Kinder mit fremdsprachigem Hintergrund können sich gleichwertig ausdrücken und müssen keine Hürden überbrücken. Dreidimensionale Dinge der Kinder können Ausgangspunkt für weitere Umsetzungen bilden, sei es mit bildnerischen Mitteln, Bewegung, Sprache oder Tanz.
Der Gestaltungsprozess und das Herstellen eines Produkts ermöglicht ästhetische Erfahrungen und begünstigt eigenständige Gestaltungsprodukte.
Der Kunst- und Hobbymarkt liefert den Konsumierenden permanent Ideen für die Praxis, oft sind es Halbfertigprodukte, die nur noch zusammengesetzt und ausgeschmückt werden müssen. Sie garantieren ein fehlerfreies Vorgehen und ein Endprodukt, welches das Kriterium Selbermachen erfüllt. Die Formen- und Farbgebungen jedoch sind grösstenteils stereotyp und bedienen Klischees. Die Funktionen dieser Gegenstände wirken oft gesucht und sind teilweise nicht durchschaubar. Das reproduzierende Verhalten, das in Bastelanleitungen angelegt ist, schliesst das Moment der Überraschung aus, denn die Lösung ist schon bekannt. Das Nachahmen schafft Abhängigkeit, denn der richtige Weg ist vorgegeben. Im Gegensatz dazu ermöglichen ein subjektives Umformen von Materialien und das eigenständige Suchen nach Formen, Farbigkeiten und Strukturen ästhetische Erfahrungen. Diese sind begleitet von einem genussvollen Erleben der eigenen Gestaltungskraft.
Beim Produzieren von dreidimensionalen Objekten spielen Assoziationen und Umdeutungen eine wichtige Rolle. Der Gegenstandsbezug ist fluktuierend und ansatzweise realistisch.
Das Herstellen eines Gegenstands kommt dem Vergegenständlichen von Absichten und inneren Bildern gleich. Während des Gestaltungsprozesses wirkt jedoch das Entstandene auf die Herstellenden zurück. Indem Überraschendes und Unbeabsichtigtes passiert, entstehen neue Ideen, Fantasien und Probleme. Die Kinder gehen mit diesen dynamischen Prozessen unbeschwert um. Offene Vorgehensweisen ermöglichen viel Raum für Assoziationen und Umdeutungen. Dies kommt während der Herstellung, aber auch im fertigen Produkt zur Geltung. Beim Konstruieren können Bedeutungen geändert und das beabsichtigte Ziel ignoriert oder neu definiert werden. Beim Produkt selbst treten mehrere Darstellungsarten gleichzeitig auf. Es haben naturferne neben naturnahen Repräsentationen Platz, reale Funktionen neben Elementen, die Träger von Imaginationen sind. Zum selbst gefertigten Produkt kann eine emotionale Bindung entstehen.
Das Herstellen von funktionalen Gegenständen gibt den Kindern die Möglichkeit, ihre Vorstellungen über technische Sachverhalte zu überprüfen. Es können erste Erfahrungen im Vorfeld des naturwissenschaftlichen Denkens gemacht werden.
Beim Gestalten von Objekten werden Dinge hergestellt, die Träger von Funktionen sind. Je nach Alter der Kinder steht dabei das Spielen mit dem Gegenstand, das Funktionsspiel, im Vordergrund oder die reale, technische Funktion des Objekts. Dinge werden gebraucht und wollen verstanden werden. Begegnungen mit Phänomenen aus Technik und Natur können, wenn sie sinnvoll in einen Kontext eingebettet sind, schon im frühen Kindesalter stattfinden. Es gilt, den Vorstellungen der Kinder, welche durch deren Lebenswelten geprägt sind, Raum zu lassen. Durch handelndes Tun überprüfen Kinder ihre Annahmen und Ahnungen. Es können erste Ansätze von Hypothesen gebildet werden und Vorwissen zu technischen Sachverhalten aufgebaut werden. Diesem naiven Wissen, das unbewusst vorhanden, aber nicht verbalisiert ist, kann Ausdruck verliehen werden. Das funktionale Gestalten fördert eine positive Haltung gegenüber technischen Inhalten, indem Technik ansatzweise nacherfunden wird.
Die Kinder eignen sich ihre Wirklichkeit ihren Möglichkeiten entsprechend an. Sie wählen unterschiedliche Strategien, um ihre Vorkenntnisse im Gestaltungsprozess anzuwenden und zu erweitern.
Die Phasen im Gestaltungsprozess weisen bei jedem Kind eine bestimmbare Dramaturgie auf. Je nach Antrieb erfolgen die Schritte schubweise, durch Abwickeln eines Programms oder konsequent zielorientiert. Neue Handlungssequenzen werden entweder durch äussere Impulse eingeleitet oder vom Kind selber initiiert. Eher intrinsisch motiviertes Arbeiten zeichnet sich dadurch aus, dass der Dialog mit dem eigenen Objekt den Gestaltungsprozess massgeblich prägt. Extrinsisch motivierte Strategien nehmen die Angebote anderer auf und können durch Konkurrenz bestimmt sein. Die Beziehungen der Kinder untereinander sowie die Interaktionen der Kinder mit den beteiligten Erwachsenen sind stets Teil der Strategie. Kein Kind baut losgelöst von allen anderen, nur auf sich bezogen. Kinder nutzen Lernumgebungen über die konkrete Aufgabenstellung hinaus: etwa als Raum für rituelle Peerkonflikte oder als Ressource für die sprachliche und kulturelle Integration.
Das Hantieren und Experimentieren mit Materialien und Werkzeugen fördert die taktile, visuelle und kinästhetische Wahrnehmung und leistet einen Beitrag zur Entwicklung der Fein- und der Grobmotorik.
Um die Handgeschicklichkeit zu entwickeln, braucht es viele und unterschiedliche Übungsmöglichkeiten. Die Motivation dazu kann durch unbekannte Werkstoffe ausgelöst werden. Es ist zu beobachten, dass Kinder ein Material auf seine Eigenschaften hin erforschen, ohne dass sie dazu ermuntert werden. Die Neugier und die Lust, Neues zu lernen, kann sich auch auf den Umgang mit Werkzeugen beziehen. Die Handhabung wird durch das Üben verbessert, indirekt werden dabei die Fein- und die Grobmotorik entwickelt. Bei Konstruktions- und Bauprozessen braucht es beide Hände, dies fördert die Augen-Hand-Koordination und die Koordination zwischen der rechten und der linken Hand.
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Wann ist ein Schiff ein Schiff? Dreidimensionales funktionales Gestalten mit vier- bis achtjährigen Kindern.
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